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Rated: GC · Short Story · Drama · #2287921
Gregor verwandelt sich in einen Hund, um günstig verreisen zu können. Schwerer Fehler!
First released on May 12, 2020.





Der beißende Geruch brennenden Treibstoffs und Rauchs weckte ihn schließlich aus seiner Ohnmacht. Ihm war schwindlig. Alles drehte sich, war verschwommen. Nur langsam bekam er wieder ein Gefühl für seinen Körper. Doch nichts schien am richtigen Platz, nichts seine richtige Form zu haben. Dann erinnerte er sich...

Ein paar Monate zuvor. Er und Jonas hatten in ihrem Wohnzimmer gesessen und Broschüren durchgeblättert. Beide waren reif für einen Urlaub. "Mit Sonne und Meer!" wie Jonas nicht müde wurde zu betonen. Aber das Geld reichte hinten und vorne nicht. Die Wohnung, das Auto, die Schulden vom Studium... all das hatte seinen Tribut gefordert.

Gregor wuschelte sich entnervt durch's Haar. Er hatte einen kastanienbraunen Undercut und einen, für Jonas etwas zu schroffen Klodeckelbart. Jonas selbst war kupferblond und hatte Locken die sich vereinzelt über seine Stirn kringelten, was Gregor sonst irrsinnig scharf machte. Aber nicht jetzt! Jetzt war er zu aufgebracht über Jonas' Weigerungen ein All inclusive-Angebot in Betracht zu ziehen, das sie sich vielleicht leisten konnten, wenn sie auf ein paar Extras verzichteten. "Mit deutschen Touristen am Strand rumhängen, sich das nervige Geplärre ihrer Kinder anhören... dafür muss ich nicht wegfahren, das kann ich hier auch haben!"

"Dann bleiben wir eben hier, verdammt!!" schrie ihn Gregor an. "Was anderes können wir uns schlicht und ergreifend nicht leisten! Und nein..." fuhr er fort, als Jonas den Finger hob. "Ich werde meine Eltern NICHT um Hilfe bitten, die haben genug eigene Probleme!" Damit waren sie mit ihrem Latein am Ende. Scheinbar. Denn Jonas hatte noch ein Ass im Ärmel.

"Nämlich?!" seufzte Gregor ergeben. Jonas machte eine Pause. Er wusste nicht so recht wie er es ausdrücken sollte: "Ich... ich hab gestern eine alte Freundin meiner Mutter getroffen, die uns vielleicht helfen kann. Sie hat ein... etwas ausgefallenes Hobby..."
Gregor runzelte die Stirn. Wenn das nicht dubios war, was dann?!

"Wovon sprechen wir hier?" fragte er vorsichtig. "Ist sie eine Hackerin oder was?" - "In gewisser Weise!" - "Kann sie uns Flugtickets hacken? Oder eine Hotelreservierung!" - "Nein, nichts in der Art!" - "Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Jonas!! Was kann sie machen, damit wir günstig in den Urlaub fliegen können?" - "Sie kann machen, dass..." - "Ja?!" - "Einer von uns im Gepäck mitfliegen kann!"

Das brachte Gregor endgültig aus dem Gleichgewicht. Er musste sich zurücklehnen und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. Da waren Kopfschmerzen im Anmarsch, soviel war sicher. Er atmete ein und aus, wobei er ein gequältes Brummen zwischen den Lippen hervorpresste, was entfernt einem Knurren gleichkam. "Jonas!?" presste er beherrscht hervor. "Diese Freundin von deiner Mutter... ist das zufällig die Hexe von der sie uns neulich beim Abendessen erzählt hat?" Jonas' betretenes Schweigen sprach Bände. Er wusste, es war eine dumme Idee den Vorschlag zu machen und er genierte sich dafür.

Gregor sah ihn lange an. Die Art wie er traurig den Kopf sinken ließ, berührte ihn. Er tat ihm Leid! Wie machte er das nur? Schließlich knickte er ein. Er liebte diesen Blödmann einfach zu sehr. "Okay, meinetwegen! Verzweifelte Situationen, erfordern verzweifelte Maßnahmen!" Jonas sah auf und lächelte. Greogor sah keinen Sinn in der ganzen Aktion, aber das zu sehen war es ihm wert.

Am nächsten Tag stiegen sie in den Bus und fuhren an den Rand der Stadt. Das Wetter war schön, der Himmel klar und die Luft erfühlt von sommerlicher Wärme. Sie hätten auch mit dem Fahrrad kommen können, wäre die Gegend nicht dafür bekannt Fahrräder schneller verschwinden zu lassen als das Bermuda Dreieck eine Flotte von Flugzeugen. Nein, es war sicher nicht die Gegend mit dem besten Ruf, aber eine alte Hexe fühlte sich hier anscheinend pudelwohl!
Wobei, so alt war sie garnicht! Und sie sah auch garnicht aus wie eine Hexe! Eher wie eine etwas schleißig gekleidete Frau im mittleren Alter, die etwas zuviel Freizeit hat, diese aber augenscheinlich nicht dazu nutzte in ihrer 30 Quadratmeter-Wohnung für Ordnung zu sorgen. Überall standen Kartons, lagen alte Zeitschriften und Krimskrams. Sie freute sich sichtlich Jonas zu sehen und begrüßte auch den etwas reserviert dreinblickenden Gregor mit Überschwang.

"Womit kann ich euch helfen, Jungs?" flötete sie vergnügt, bei einer Tasse selbstgemachtem Chai Latte - oder was auch immer das darstellen sollte, was sie da tranken. Gregor ließ die Tasse nach zwei Schlücken einfach stehen. "Es geht um die Sache, über die wir neulich gesprochen haben. Unser Urlaub!" gab Jonas zu verstehen. Sie erinnerte sich. "Ach ja, der Verwandlungstrank! Ich hab eben ein ganzes Set bestellt... ich bin quasi nur eine Zwischenhändlerin!" gab sie Gregor zu verstehen, der sich schon gewundert hatte, wo sie noch Platz für ihren Hexenkessel gefunden hätte.

Sie kramte aus einer alten Kredenz zwei Fläschchen hervor - ein grünes und ein blaues - und erklärte ihnen, dass sie sich mit dessen Hilfe in jedes Tier verwandeln konnten, das sie wollten. Alles was sie zu tun hatten, war es die Haare des gewünschten Tieres in der Flüssigkeit im grünen Fläschchen aufzulösen und dann einen kleinen Schluck davon zu nehmen. Das blaue Fläschchen war das Gegenmittel.

Auf die Frage wieviel der Spaß kosten sollte, meinte sie nur, das erste Mal ginge auf's Haus. "Was macht sie so sicher, dass wir wiederkommen?" konnte es sich Gregor nicht verkneifen zu fragen. Jonas gab ihm einen Stoss mit dem Ellbogen. Doch ihre Gastgeberin nahm es ihm nicht krumm und erklärte nur, mit einem freundlichen Lächeln: "Meine Kunden kommen immer wieder!"

Auf dem Heimweg dachte Gregor über die Worte der 'Hexe' nach. Wenn es nach ihm gegangen wäre hätten sie die Fläschchen sofort entsorgt und die Sache auf sich beruhen lassen. Wer wusste schon so genau, was in dem Zeug drin war! Eine Droge womöglich, die sie anfixen sollte, damit sie sich für teures Geld Nachschub bei der hässlichen Alten holen konnten. Leider ging es nicht nach ihm und Jonas hielt an der Idee fest. Mehr noch, wollte er den Zauber schon am selben Abend einem Probelauf unterziehen. Gregor war natürlich dagegen. Was folgte war ein Streit, der schließlich damit endete, dass ER derjenige war, der als Versuchskaninchen herhalten musste.

Ihre Nachbarin Anita hatte einen Schäferhund, der zurzeit furchtbar harrte, was ihrem Experiment allerdings sehr entgegen kam. Nachdem Jonas dem guten Felix ein paar ordentliche Streicheleinheiten verpasst hatte, kam er mit einem kleinen Büschel Fellhaare zurück. Gregor grauste es davor, das Zeug schlucken zu müssen. Doch zum Glück lösten sich die Haare rasch in der blaßrosanen Flüssigkeit auf. "Das ging doch ziemlich schnell!" meinte Gregor. "Vielleicht ist das irgendeine Säure..." Jonas verdrehte die Augen. "Wenn es eine Säure wäre würdest du das riechen!"

Der Moment war gekommen! Gregor hielt das grüne Fläschchen in Händen und haderte damit davon zu trinken. Sein Freund wurde ungeduldig: "Wenn du nicht weitermachst, dann übernehm ich das eben selbst!" Er wollte danach greifen, aber Gregor zog es ihm weg und nahm - in einem heroischen Versuch seinen geliebten Dummkopf zu retten - einen großzügigen Schluck aus dem Fläschchen. "Wäh, ist das bitter..."

Sein Herz raste vor Aufregung. Er achtete darauf, ob sich irgendetwas verändern würde. Aber nichts geschah! Alles war wie immer. Gut, seine Nase juckte ein bisschen. Er kratzte sich mit dem Zeigefinger. Das Jucken wurde mehr. Kratzen brachte nichts. Jonas starrte ihn an. "Ach, komm schon!" fing Gregor an. "Das bisschen jucken..." Doch er schüttelte nur den Kopf und hielt ihm einen Löffel hin, der zufällig am Tisch neben ihm lag. Die Reflektion war auf dem Kopf, doch Gregor konnte ganz deutlich einen schwarzen Fleck auf seiner Nasenspitze erkennen. Einem Leberfleck ähnlich. Nur schien sich dieser Leberfleck auszubreiten.
Auch das Jucken nahm zu und verteilte sich langsam über seinem ganzen Körper. "Was war in dem Zeug drin? Juckpulver?" Ein plötzlicher Schauder fuhr ihm über den Rücken und zog sich wie eine Welle über die Haut, die sich zusammenzuziehen schien. Sein Schweiß schien einem öligen Film gleich, der sich über seinem gesamten Körper verteilte und auf einmal einen unglaublichen Gestank abzusondern schien.

"Urgh! Was ist das für ein Gestank?" - "Ich rieche nichts, was meinst du?" antwortete Jonas besorgt. Gregor riss sich Hemd und Hose vom Leib, das Jucken war kaum noch zu ertragen. Und da bemerkte er es schließlich: Aus seiner Brust, seinem Bauch, Schultern und Teile seines gesamten Rücken sprossen, fast schon im Zeitraffer, Haare. Doch waren es nicht die üblichen dünnen Auswüchse, die seinen dünnen, blassen Körper zierten, sondern richtig dichtes, blond-braun-schwarzes Haar, dass in Nu seine ganze Haut bedeckte.

Unter lautem Knacken und Knarren sackte Gregor auf einmal in sich zusammen und krümmte sich, nicht unter Schmerzen, aber unter der enormen Kraft seiner sich rapide verzerrenden Knochen und Muskulatur. Was auch immer der Trank enthielt, schützte ihn vor den andernfalls enormen Schmerzen der Prozedur, die ihn zweifellos um den Verstand gebracht hätten.

Gregor blickte auf zu Jonas, der unter Entsetzen dabei zusah, wie sich sein Freund verwandelte. Der Trank tat was die Hexe versprochen hatte, doch nichts hätte sie auf den Horror vorbereiten können, der gerade vor sich ging. Es war seltsam: Jonas schien zu wachsen, zumindest aus Sicht von Gregor. Doch war er es selbst der in Wahrheit in sich zusammenschrumpfte. Seine Arme und Beine schienen sich zu verkrampfen, schoben und zogen sich zusammen, wurden dünner, gelenkiger. Seine Finger verkürzten sich zu kleinen verhornten Klümpchen, von denen sich die Daumen ein wenig den Armen entlang hochzogen und zu kleinen Krällchen verkümmerten. Derweil bildete sich auf seinen Handflächen eine dicke schwarze Hornhaut.

Ähnlich erging es seinen Füssen, die ebenfalls länger wurden, während sich seine Schenkel unter großem Ächzen zusammenzogen. Zur selben Zeit wurden seine Schultern von einer unsichtbaren Macht näher hinab an seine Brustkorb gedrückt, wo sie laut krachend andockten. Der Brustkorb selbst wölbte sich so, dass Gregor, der sich nur noch auf allen Vieren bewegen konnte, in der Lage war den Kopf zu heben, welcher nun ebenfalls dazu übergegangen war, scheinbar in sich zusammenzusacken.

"Mach, dass es aarrrrrrwwwwwaff... aff...!" versuchte er Jonas noch zu sagen, während sich seine Zunge in ein langes, dünnes Etwas verwandelte, dass es ihm nunmehr unmöglich machte zu sprechen. Wie in einer riesigen Schraubzwinge krachte sein Schädel zusammen. Seine mittlerweile vollends schwarze, abgeflachte Nase bildete die Spitze einer sich allmählich aus seinem Kiefer schiebenden Schnauze. Umrahmt von einer Schicht schwarzer Lefzen, über die bereits der erste Sabber tropfte. Selbst die Zähne nahmen eine beachtliche Größe an und verjüngten sich unter hochfrequentem Knirschen zu einer spitzen Zahnreihe die sich sehen ließen.

Ein kurzes Blinzeln und nicht nur Gregor's Sichtfeld hatte sich mit einem Mal verändert. Auch seine Augen hatten jede Menschlichkeit verloren. Seine Ohren verschoben sich ein paar Zentimeter oberhalb ihrer ursprünglichen Position. Die Ohrmuscheln wuchsen zu großen, dünngliedrigen Klappen heran, die spitz nach obenhin zuliefen.

Zu guter Letzt verschoben sich auch sämtliche Organe und selbst sein Penis nahm eine Form an die mehr einem Hund angemessen waren. Aus seinem verlängerten Rücken wuchs derweil lang und stolz sein langer, wuscheliger, unentwegt wackelnder Schwanz heran. Das ganze Prozedere hatte nur knapp zwei Minuten gedauert, nicht genug Zeit für Gregor oder Jonas das Geschehene richtig zu verdauen. Gregor war immer noch auf 180, nicht zuletzt weil ihn seine neuen Sinneswahrnehmungen schlicht überforderten. Doch gab ihm auch seine neue, kompaktere Form und seine, zumindest theoretische Nacktheit - selbst vor Jonas, der ihn oft genug nackt gesehen hatte - ein Gefühl von Unsicherheit und Verwundbarkeit.

Gregor bemerkte seine Panik, was ihn schlagartig aus seinem Schockzustand holte. Liebevoll kniete er sich hinunter zu seinem nervös winselnden Freund, nahm ihn behutsam in die Arme und begann ihn zu streicheln. Was Gregor nicht nur beruhigte, es fühlte sich auch verdammt gut an! Ein Gefühl vollkommener Geborgenheit und unbedingter Liebe durchströmte ihn, wie reines Sonnenlicht.

Nachdem sich die Beiden davon überzeugt hatten, dass das Gegenmittel auch funktionierte und Gregor seine alte, menschliche Form zurückerlangte, machten sie eine Flasche Wein auf - einen guten Merlot, dazu eine kleine Käseplatte - und machten sich an die Planung ihres Urlaubs. Gregor würde als Schäferhund "Gerry" in einer Transportbox anreisen, während Jonas gemütlich in der Kabine sitzen und das Bordprogramm geniessen konnte. Dafür übernahm Jonas die Kosten für das Apartment in dem sich nächtigen würden.

Gregor war einverstanden, auch wenn es ihm unangenehm war an der Leine zum Flughafen geführt zu werden und von Fremden wie ein Tier behandelt zu werden. Gut, er war ein Tier! Aber in seinem Kopf war er immer noch ein Mensch der quasi nackt herumlief und nicht der liebenswerte Schäferhund Gerry für den ihn alle hielten. Um ihnen nicht den Urlaub zu sabotieren musste er es sich gefallen lassen, getätschelt und wie ein Baby angesprochen zu werden. Mehr noch: Er musste tun, als würde es ihm auch noch gefallen.

Insofern war er froh endlich die Transportbox betreten zu können und seine Ruhe zu haben. Nur war es damit auch nicht weit her. Er konnte nicht wirklich sehen wohin er gebracht wurde. Überall war der Lärm von Maschinen, ein unangenehmer Geruch und Dunkelheit. Gregor fühlte sich ein bisschen klaustrophobisch und versuchte ein bisschen zu schlafen. Zwischenzeitlich plagte ihn der Druckausgleich der abhebenden Maschine, die bei seinen neuen Hundeohren mehr schmerzten als sonst. Er biss die Zähne zusammen, bis die Sache vorbei war und nickte erneut ein.

Ihm wurde ein bisschen schlecht da die Maschine immer häufiger in ein Luftlöcher geriet. Er spürte, dass etwas nicht stimmte. Sein Instinkt sagte ihm, dass er tatsächlich in großer Gefahr schwebte. Doch gab es nichts was er tun konnte und er versuchte sich einzureden, dass er sich das nur einbildete. Auf einmal hörte er ein ohrenbetäubendes Geräusch und mit einem plötzlichen Ruck wurde er mit dem Kopf gegen die Wand seiner Box geschleudert...

Der beissende Geruch brennenden Treibstoffs und Rauchs weckte ihn schließlich aus seiner tiefen Ohnmacht. Ihm war schwindlich. Alles drehte sich, war verschwommen. Nur langsam bekam er wieder ein Gefühl für seinen Körper. Doch nichts schien am richtigen Platz, nichts seine richtige Form zu haben. Dann erinnerte er sich: Der Absturz! Jonas!! Er musste aus dieser Box raus! Aber wie...

Zu seinem großen Glück war die Klappe schwerer beschädigt als der Rest davon. Es gelang ihm sich mit seinem kräftigen Schäferkörper dagegenzustemmen und sie damit aufzudrücken. Er fand sich in einem dichten Wald wieder oder zumindest dem, was von dem Wald noch übrig war. Überall lagen Teile der Flugzeugs. Die Hülle, Stühle, Kisten, Maschinenteile. Die in Stücke gerissene Turbine die zum Absturz geführt hatte. Überall war Feuer, Rauch und Dreck.

Gregor versuchte nach Jonas zu rufen, doch natürlich kam nur ein lautes, nichtssagendes Bellen heraus. Mit größtmöglicher Anstrengung versuchte er sich auf seinen Spürsinn zu verlassen, seinen Freund zu erschnuppern. Aber der allgegenwärtige Gestank machte es ihm unmöglich. Er suchte eine gute Stunde, vergeblich. Schliesslich gab er auf und beschloss Hilfe zu holen, falls es ihm möglich war sich im Rest des Waldes zurechtzufinden, ohne von einem Bären angefallen zu werden.

Es war finsterste Nacht und ein kühler Wind pfiff zwischen den Bäumen. Gregor machte es nichts aus. Sein Fell spendete ihm ausreichend Wärme und mit seinen Hundeaugen konnte er mehr als hervorragend sehen. Insgesamt fühlte sich die Umgebung merkwürdig vertraut an, was wohl auch seinem Wolfblut geschuldet war. Dennoch: Wenn er nicht bald etwas zu trinken fand, würde es noch ein schlimmes Ende mit ihm nehmen!

Soweit kam es zum Glück nicht: Er fand einen kleinen plätschernden Bach aus dem er trinken konnte. Behutsam streckte er seine Zunge ins Wasser und tat sein Bestes das kühle Nass aufzuschlabbern. Er hatte damit immer noch massive Schwierigkeiten, obwohl er und Jonas in den vergangenen Wochen intensiv geübt hatten. Jonas...! Gregor hatte keine Zeit für den Unsinn, er steckte einfach seine Schnauze ins Wasser und schwang den Kopf zurück, um zu schlucken. Dabei verschluckte er sich an eine Blatt, das er unter lautem Keuchen wieder auszuspeien versuchte, wobei sich sein ohnehin schon lädiertes Halsband in einem Ast verhakte. Ein zorniger Ruck später und es war auch noch ab - na fantastisch! Verdammter Hundekörper!!!

Er ließ es einfach liegen und lief weiter, den Bach flussabwärts folgend, in der Hoffnung dadurch irgendwohin zu kommen, wo Menschen waren. Wobei ihm einfiel: Wie würde er sich verständlich machen? Bei Lassie hatte es immer so einfach ausgesehen! Würde er den ganzen Weg wieder zurücklaufen müssen, um den Rettungskräften den Weg zu weisen? Ein plötzliches Knacken ließ ihn zusammenzucken: WAS WAR DAS?!! Ach, nur ein Reh, Gott sei Dank!

So ging es noch eine ganze Weile. Der Mond schien hell und klar über den Wipfeln. Er konnte die Sterne sehen. Wie sehr wünschte er sich jetzt in Astronomie besser aufgepasst zu haben! Plötzlich hörte Gregor ein vertrautes Rauschen und zwei Lichter die in der Ferne hastig einem Hügel entlang wanderten. Ein Auto!!! Gregor legte einen Zahn zu, der Wind pfiff ihm nur so durch's Fell. Die Bäumen zischten an ihm vorbei wie Feuerwerksraketen. Er war wie ihm Rausch!

Und plötzlich war er da: Asphalt. Er hatte endlich eine Straße gefunden. Doch das Auto war ihm leider entwischt. Wer wusste wie lange es dauerte, bis das Nächste vorbeikam! Ihm blieb nichts weiter übrig, als der Straße in Fahrtrichtung des Wagens zu folgen, in der Hoffnung, irgendwann auf eine Stadt oder zumindest eine Landstraße zu stossen. In welchem Land war er eigentlich? Schwer zu sagen! Er hatte keine Ahnung wie lange er schon in der Transportbox gelegen hatte, ehe die Maschine abgestürzt war. Gregor winselte. Das Ganze erinnerte ihn nur wieder an Jonas, der nach wie vor dort draussen im Wald lag und möglicherweise mit dem Leben rang.

Gregor zwang sich weiterzugehen, immer der Straße lang. Es dämmerte bereits als er endlich an einer Tankstelle ankam und vor lauter Anstrengung zusammenbrach. Im Delirium hörte er einen alten Mann reden. Auf Englisch. Aber er verstand nicht, was er sagte. Plötzlich fühlte er, wie ihn jemand streichelte. Das gab ihm das sensationelle Gefühl von Sicherheit zurück, dass ihm Jonas damals gegeben hatte, als er ihn das erste Mal streichelte. "Jonas!" dachte er. "In Sicherheit!" Und dann, schlief er ein.

Ein lautes, markdurchdringendes Jaulen riss ihn schliesslich aus seinem Schlaf. Wo war er? Und was war mit Jonas passiert? Was zur Hölle war hier überhaupt los? Er steckte in einem Zwinger, zusammen mit einem Haufen anderer Hunde. Oh nein! Es schien als hätte ihn, wer immer es war der ihn fand, in ein Tierheim oder sowas gesteckt. Das war eine absolute Katastrophe: Nicht nur hatte er keine Möglichkeit mehr Jonas zu retten. Wenn ihn nicht bald jemand holen käme, würde man ihn unter Garantie einschläfern. Jetzt bereute er es sein Halsband im Wald liegengelassen zu haben. Und die Tatsache, dass er nicht wirklich registriert war - denn schließlich war er ja kein wirklicher Hund, sondern ein verwandelter Mensch - machte die Sache nicht besser.

Sein Magen knurrte. Also machte er sich widerwillig über den Fressnapf her, den ihm einer der Wärter, ein fetter Kerl mit einer müden Visage, missmutig hingestellt hatte. Zum Glück war seine Hundezunge an den ekeligen Frass gewöhnt, sonst hätte er sich mit Gewissheit bald angekotzt. Wirklich scheußlich war eigentlich nur das Wasser, das nach Chlor schmeckte. Was ihn nicht weiter verwunderte, befand er sich doch schliesslich in den USA, was von den Schildern und der Uniform des Wärters her deutlich erkennbar war.

Nachdem er eine Weile gewartet hatte, öffnete der Wärter eine Klappe in der Rückwand seiner Zelle, die ihm den Weg in den Innenhof freigab, wo er etwas mehr Auslauf hatte und sich an einem bescheidenen kleinen Bäumchen erleichtern konnte. Dabei wurde sich Gregor der unangenehmen Tatsache bewusst, nicht mehr in der Nähe des Waldes, sondern im Herzen einer Großstadt zu sein. Welche, das konnte er nicht mit Gewissheit sagen. Die Skyline ähnelte keiner, die er schon einmal gesehen hatte.

Gregor ließ den Kopf sinken. Seine Chancen Jonas zu retten hatten sich damit nun endgültig erledigt. Und mit ihm die Chance jemals wieder menschliche Gestalt anzunehmen!

Sein trauriges Winseln erregte die Aufmerksamkeit eines älteren Herren, der am anderen Ende des Geheges, der an einen Park grenzte, vorbeispaziert kam. Er war groß, kräftig gebaut, aber schon stark ergraut und hatte eine Halbglatze. Dennoch waren seine Augen klar und aufmerksam. Sein Name war Herb Jenkins, seine Profession: Nachtwächter in einem Museum. Der Zufall wollte es, dass Herb auf der Suche nach einem neuen Wachhund war. Und dieser große, prächtige Schäferhund war ganz nach seinem Geschmack!

Herb betrat das Tierasyl und begrüßte die Leiterin Kate Bishop. Nach einem kurzen Geplänkel unter Freunden erkundigte sich Herb nach ihrem neuesten Schützling und erfuhr, dass ihn ein Tankwart auf der Landstraße zwischen Preston und Statham gefunden hatte. Die Kollegen in Preston hatten aber keinen Platz mehr, so hatte sie sich Seiner erbarmt. Kein Halsband, kein Chip, keine Nummer - ein Streuner wie er im Buche steht.

"How much?" fragte sie Herb, ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht. Kate sah ihn streng an und erwiderte: "I can't! He just arrived here! We have no idea where he came from, if he has the necessary vaccinations..." Herb erkundigte sich, wann sie genaueres wüsste. Sie vertröstete ihn auf Freitag. "Good!" murmelte Herb. "But leave him unneutered, I have great plans with him!" - "You know I can't do that! Each and everyone of..." - "Kate, please!" Sie hielt inne, sah ihm in seine großen treuen Hundeaugen und seufzte. "Alright, alright! But you pay extra!" - "Kate Bishop, you're a wonderful human being!"

Gregor hatte sich bereits in sein Schicksal ergeben und unternahm keinen Versuch mehr sich zu wehren. Er ließ die Untersuchungen der Tierärztin stoisch über sich ergehen, die Impfung und die Implantation des Mikrochips. Dass sie davon Abstand genommen hatten ihn zu kastrieren, beruhigte ihn, auch wenn er nicht genau wusste, was er mit seinem Geschlechtsteil noch anstellen sollte. Sex mit anderen Hunden kam ja wohl nicht in Frage und was Masturbation betraf, fehlte ihm das nötige Paar Hände.

Kurz darauf lernte er Herb kennen, der ihn einer genauen Inspektion unterzog. Um der Todesspritze zu entgehen, ließ er sich notgedrungen dazu herab, seinem potentiellen neuen Besitzer zu gefallen. Er vollführte jeden Trick der von ihm gefordert wurde: Shake Hands, Take a bow, sogar Play dead.
"A well trained fellow, aren't you!" Gregor kam sich so lächerlich vor, gleichzeitig reagierte der Hund in ihm auf die bestätigenden Worte und er wedelte mit dem Schwanz.
Herb legte ihn ein neues Halsband um den Hals, auf dem bereits alle erforderlichen Hundemarken befestigt waren und eine Leine an, an der er ihn mit zufriedener Miene aus dem Tierheim führte. Gregor hieß nun "Buster" und sollte, soweit er das verstanden hatte, zu einem Wachhund ausgebildet werden. Natürlich hatte Gregor nicht vor, solange zu bleiben. Sobald er einen Weg zurück nach Österreich gefunden hätte, wo ihn die Hexe zurückverwandeln konnte, war er über alle Berge!

Er musste allerdings zugeben, dass er sich in seinem neuen Zuhause eigentlich ganz wohl fühlte. Endlich ein vernünftiges Hundebett, kein kalter Betonboden mehr. Ein Haus im Grünen, mit Bäumen und einem großzügigen Garten der ihm genug Auslauf bot. Herb erwies sich als sehr erfahrener Hundehalter, der wusste welches Futter er seinem Schützling zumuten konnte. Es war ein Hundeleben, ja! Aber es war ein gutes Hundeleben!

Gregor begann sich zunehmend für sein neues Herrchen zu erwärmen. Die Beiden machten ausgedehnte Spaziergänge im Park und spielten Frisbee miteinander. Um die Kinder in der Nachbarschaft zu beeindrucken ließ ihn Herb Kunststücke vorführen, was Gregor mit der Zeit garnichts mehr ausmachte.

Herb steckte ihn auch in eine spezielle Hundeschule, die von einem ehemaligen Polizisten geleitet wurde. Dort lernte er seine Nase noch zielgerichteter einzusetzen, wie er sich gegen Kriminelle zur Wehr setzen und seinen Herrn beschützen konnte. Alles ein bisschen anstrengend, aber sehr spannend für Gregor... nein... Buster!

Schließlich kam der Tag an dem ihn Herb in die Arbeit mitnehmen durfte. Der alte Bär schlüpfte in seine khakifarbene Uniform, die ihm eine stattliche, autoritäre Anmut verlieh. Buster war sehr stolz auf seinen Besitzer. Er selbst bekam ein Geschirr verpasst, auf dem mit großen weißen Lettern das Wort SECURITY stand. Das gab ihm zum ersten Mal seit Langem wieder das Gefühl mehr zu sein als ein einfacher Hund. Er war für die Sicherheit zuständig!

So patrollierten die Beiden jede Nacht durch's Museum. Ein langweiliger Job, hätte sich Herb nicht als formidabler Alleinunterhalter erwiesen. Buster hatte viel Spaß mit ihm. Und bald hatte er vergessen, jemals etwas Anderes gewesen zu sein als ein Hund. Was eine Weile anhielt. Bis sich der zweite Grund offenbarte, warum ihn Herb aus dem Tierheim geholt hatte: Herb hatte einen Kollegen, Phil Jaeger, der ebenfalls im Besitz eines Schäferhundes war. Genaugenommen, eine Schäferhündin. Und sie hatten einen Kumpel bei der Polizei der ihnen einen Haufen Geld geben würde, wenn sie ihm Nachwuchs für ihre Hundestaffel beschaffen konnten.

Hier zog Gregor eine Linie: Er würde sich bestimmt nicht mit einem anderen Hund paaren! Er war immer noch ein Mensch, verdammt nochmal! Sein Plan war es, sich einfach zu weigern. Aus ihm bekamen sie keinen Tropfen Sperma heraus, soviel war sicher! Er ließ sich von Herb zu Phil's Haus führen, wo seine Auserwählte auf ihn warten würde. Es gab keinen Grund sich zu sträuben dorthin zu gehen, aber mehr würde sich unter Garantie nicht abspielen, soviel stand fest.

Was Gregor aber nicht wusste war, dass Phil's Schäferhündin Bonnie gerade läufig war. Mit jeder Pore verströmte sie einen Duft der danach zu schrien schien, dass es ihr ein großer, starker Hund einmal so richtig besorgte. Gregor hatte keine Chance! Buster übernahm die volle Kontrolle über sein Bewusstsein. Er lief auf sie zu, beschnupperte sie, sog ihren Duft auf. Sie knurrte und bellte ihn an, aber das machte ihn nur umso schärfer. Sein Glied schwoll an zu einem pulsierenden Prügel, der danach dürstete in sie einzudringen.

Ehe er es sich versah war er auf ihren Rücken gesprungen und ließ die Hüften nach vorn und zurück schnellen, wie ein heißer Wolf. Er drang in sie ein, spürte die zunehmende Enge, die feuchte Wärme auf ihrem Rücken und auf seinem Bauch. Seine Nerven schienen zu explodieren und für einen Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte, war von dem Menschen Gregor nichts mehr über. Kurz darauf kam er. Schoß seine weißes Gold in ihren begierigen Leib. Die Tat war vollbracht!

Auf dem Heimweg fühlte sich Gregor schmutzig! Er ließ den Kopf hängen, was Herb zurecht ein wenig verdutzte. Er dachte doch tatsächlich, dass sich sein Freund Buster in das wilde Luder Bonnie verschossen hatte und ihr nun nachtrauerte. Nichts hätte ferner von der Wahrheit sein können: Gregor hatte Jonas verraten! Nicht bloss an diesem Nachmittag, sondern bereits, als er die Absturzstelle verlassen hatte, statt noch einmal intensiver nach ihm zu suchen. Vielleicht würde er noch leben, wenn er sich nur etwas mehr Mühe gegeben hätte.

Als einige Monate später die Welpen zur Welt kamen, hatte Buster endgültig mit seiner Vergangenheit abgeschlossen und war unsagbar stolz darauf Vater von derart knuffigen kleinen Schäferhunden geworden zu sein, die in Kürze zu prächtigen Polizeihunden heranwachsen würden. Es machte ihm auch nichts mehr aus mit Bonnie einen zweiten Wurf in Angriff zu nehmen. Letzten Endes hatte er auch an dem Sex mit ihr zunehmend Gefallen gefunden.

Buster war glücklich! Er hatte das beste Herrchen der Welt, eine riesige Familie, einen supertollen Job und phänomenalen Sex. So bemerkte er nicht als er eines Wintertags, aus der Ferne von einem Mann beobachtet wurde. Er hatte lange, kupferblonde Locken und einen dichten, unordentlichen Bart. Er sah traurig aus. Gleichzeitig, als hätte er nach langer Suche endlich mit seiner Vergangenheit abgeschlossen. Nach einer Weile drehte er sich um, warf im Vorbeigehen ein kleines blaues Fläschchen in einen Mülleimer und kehrte unverrichteter Dinge nachhause zurück ...
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