ch wachte früh auf. Viel zu früh. Es war noch dunkel draußen, der Himmel schwer und blau, als würde er sich selbst nicht entscheiden können, ob er Nacht oder Morgen sein will. Ich lag still da, bewegte mich kaum. Die Decke lag warm über mir, aber unter ihr – unter meinem Schlafanzug – spürte ich sofort wieder das weiche, dicke Bündel zwischen meinen Beinen.
Die Pampers.
Ich atmete flach. Ich wusste, dass ich eingenässt hatte. Ich musste nicht mal nachsehen. Man merkt es. Es ist schwerer. Wärmer. Noch mehr Scham. Ich hatte gehofft – oder vielleicht heimlich gebetet –, dass es diese Nacht besser wäre. Dass ich meiner Mutter zeigen könnte, wie unnötig die ganze Aktion gewesen war. Aber nein. Ich hatte es nicht einmal geschafft, eine einzige Nacht trocken zu bleiben.
Mein erster Impuls war, mich einfach weiter zu verkriechen. Vielleicht sogar wieder einzuschlafen, so zu tun, als wäre das alles nur ein Traum. Aber dann hörte ich es – die Stimmen meiner Geschwister unten in der Küche. Emma lachte, Felix plapperte irgendetwas, und ich hörte sogar, wie Lea nach mir fragte. Ein normaler Morgen.
Für sie jedenfalls.
Langsam setzte ich mich auf, und die Windel raschelte leise unter mir. Ich biss mir auf die Lippe. Irgendwie war das Geräusch schlimmer als alles andere. Es war so eindeutig. So... unmöglich zu ignorieren.
Ich stand auf, zog meine Schlafanzughose herunter und starrte auf die aufgequollene Pampers. Sie war tatsächlich nass. Nicht nur ein bisschen. Ich fühlte mich, als hätte ich in der Nacht eine unsichtbare Grenze überschritten – als wäre ich nun wirklich zurückgefallen in ein Alter, das ich längst hinter mir gelassen hatte. Nur... mein Körper schien das anders zu sehen.
Im Spiegel sah ich mich an. Mein Spiegelbild wirkte plötzlich jünger. Verletzlicher. Nicht wie das Mädchen, das in der Schule so selbstbewusst tut. Nicht wie die große Schwester, die Lea sonst erklärt, wie man Schleifen bindet. Sondern wie jemand, der sich selbst nicht mehr so genau versteht.
Ich wollte weinen. Wieder. Aber irgendwas in mir war leer. Stattdessen schälte ich mich aus der Windel, wickelte sie sorgfältig zusammen, wie Mama es bei Lea macht, und warf sie in den Windeleimer in der Ecke, den sie gestern extra gebracht hatte. Ich duschte leise, heimlich, ohne dass jemand merken sollte, was passiert war.
Als ich später die Treppe herunterkam, saß Mama schon am Tisch mit einer Tasse Kaffee. Sie sah auf, als sie mich bemerkte, und lächelte vorsichtig.
„Guten Morgen, mein Schatz.“
Ich nickte nur, setzte mich dazu. Niemand sagte etwas. Die anderen Kinder waren zu sehr mit ihren Cornflakes und Puppen beschäftigt. Ich nahm mir ein Stück Toast, biss ab, obwohl ich keinen Hunger hatte.
Mama warf mir einen Blick zu – fragend, aber auch verständnisvoll. Und irgendwie war das das Schlimmste daran: dass sie so verständnisvoll war. Kein Vorwurf. Kein Druck. Nur dieses stumme Ich weiß, was passiert ist in ihren Augen.
Nach dem Frühstück nahm sie mich beiseite, kurz bevor ich nach oben ging, um mich umzuziehen.
„Wenn du willst, probieren wir es heute Nacht mit einer Erinnerung – ich kann dich wecken, bevor du einnässt,“ schlug sie vor. „Aber nur, wenn du das möchtest.“
Ich sah sie an. In ihren Augen lag Geduld, kein Zwang. Ich war überrascht. Ich hatte erwartet, dass sie alles entscheiden würde. Wie gestern. Aber diesmal wartete sie auf mich.
„Ich... weiß noch nicht,“ sagte ich leise.
Sie nickte nur. „Dann reden wir später nochmal.“
Als ich in mein Zimmer zurückging, fühlte ich zum ersten Mal seit Tagen, dass ich wieder ein kleines Stück Kontrolle hatte. Noch keine Lösung, keine klare Richtung – aber einen winzigen, schüchternen Schritt in die richtige Richtung.
Ich wusste nicht, wie lange das Ganze noch dauern würde. Ich wusste nicht, ob ich jemals trocken schlafen würde. Aber vielleicht musste ich mich dem stellen, Stück für Stück. Nicht für Mama. Nicht, weil es peinlich war. Sondern weil ich wieder ich sein wollte.
Und vielleicht war das der Anfang.