Lisa stand zitternd vor ihrer offenen Kommode. Die Welt um sie herum schien stillzustehen, nur das gleichmäßige Ticken der Wanduhr durchbrach die Stille. In ihren Händen hielt sie eine der Pampers, die Carola dort hinterlassen hatte. Sie war dicker als alles, was Lisa seit Jahren getragen hatte – mit niedlichen Motiven, fast schon verspielt. Für ein kleines Kind. Nicht für ein zwölfjähriges Mädchen.
Wut, Scham und Verzweiflung kämpften in ihr gegeneinander. Sie wollte weinen, schreien, rennen. Am liebsten wäre sie aus dem Haus gelaufen, irgendwohin, wo sie niemand kannte. Aber stattdessen stand sie nur da – unbeweglich, wie gelähmt.
„Sie kann mich doch nicht zwingen…“ flüsterte sie, doch selbst ihre Stimme klang nicht überzeugt.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken.
„Lisa?“ Carolas Stimme war leise, fast vorsichtig. „Brauchst du Hilfe?“
Lisa atmete schwer. Sie wollte „Nein!“ schreien, doch es kam nichts über ihre Lippen. Sekunden verstrichen. Schließlich öffnete sich die Tür langsam, und Carola trat ein.
Ihr Blick fiel sofort auf die geöffnete Schublade – und auf Lisa, die die Windel immer noch in der Hand hielt, als hätte sie ein fremdes Tier angefasst. Sie sah sofort, dass Lisa mit den Tränen kämpfte.
„Schatz…“ begann Carola sanft und machte einen Schritt auf sie zu. Doch Lisa wich zurück.
„Warum tust du das?“ Ihre Stimme bebte. „Denkst du, das macht es besser? Mich zu demütigen?“
Carola seufzte, aber blieb ruhig. „Es geht nicht darum, dich zu bestrafen. Ich will dir nur helfen, das hinter dir zu lassen. Ich weiß, es fühlt sich hart an. Aber ich will, dass du dich damit auseinandersetzt – nicht einfach nur versteckst, was passiert.“
Lisa schüttelte den Kopf. „Du verstehst das nicht. Ich will ja... aber ich kann nichts dagegen tun! Und du machst alles schlimmer, Mama!“ Sie ließ die Pampers fallen, als wäre sie zu heiß geworden, und Tränen liefen nun unkontrolliert über ihre Wangen.
Carola ging langsam auf sie zu, öffnete die Arme, zögerte kurz – und dann fiel Lisa ihr weinend in die Arme.
Für einen Moment war da nur Stille. Carola strich ihrer Tochter beruhigend über den Rücken, hielt sie fest, spürte, wie klein und verletzlich sie in diesem Moment war. Nicht stur. Nicht trotzig. Nur ein Mädchen, das sich hilflos fühlte.
„Ich weiß, dass es schwer ist,“ murmelte Carola. „Aber wir schaffen das. Zusammen. Ich bin bei dir.“
Lisa schluchzte in ihre Schulter. „Ich will nicht, dass die anderen es merken... bitte nicht Lea...“
„Niemand wird etwas merken, das verspreche ich dir,“ flüsterte Carola zurück. „Das hier bleibt zwischen uns. Und wenn du soweit bist, versuchen wir wieder, ohne Windeln zu schlafen. Aber bis dahin – wir tun, was nötig ist, okay?“
Lisa nickte leicht, noch immer in Carolas Armen. Und obwohl sie sich immer noch elend fühlte, spürte sie zum ersten Mal seit Langem auch etwas anderes – verstanden zu werden. Vielleicht war das der erste Schritt.
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